Reality TV in den USA ist längst mehr als ein bisschen Gebrüll von ein paar unerzogenen, eingepferchten Einfaltspinseln mit Drang zu exhibitionistischem Sex. In den vergangenen Jahren hat sich das Format in unendliche Spielarten aufgespalten – und deshalb kann man sich jetzt in einer Schule trainieren lassen. „Amazing race“ beispielsweise testet Paare auf ihre Teamtauglichkeit und schickt sie auf eine weltweite Schnitzeljagd. Weitere Formate begleiten Menschen, die Comedy-Stars, Köche, Schürzenjäger oder Tänzer werden wollen. Damit die Produzenten keine Langweiler oder Spinner einkaufen, gibt es längst Castings für Reality TV. Wie man sich dort gekonnt präsentiert – also den Spagat zwischen Selbstmarketing und unverfälschter Natürlichkeit schafft, lehrt die New York Reality TV School. Sie gibt fünfwöchige Kurse oder einmalige nachmittägliche Crashkurse.

ATMO Geklatsche, Jubel

Ein Studio in Manhattan. Heller Parkettboden, Spiegelwand, 25 Teilnehmer im Stuhlkreis. Die Frauen in dünnen, figurbetonten Klamotten, die Männer eher leger in Pullis, Jeans und T-Shirts. Branchenübliche Begeisterungsstürme. Dabei hat Robert Galinsky, der dunkelhaarige Chef der New York Reality TV School, gerade nur sein Trainerteam vorgestellt.

„Hervorstechen! Nur darum geht es! Wenn jemand eine tolle Persönlichkeit hat, kann er eine Marke kreieren und eine Karriere starten. Dafür trainieren wir Euch hier!“

Alle: „Ouuuuaaaaaa!“

Erste Lektion: Entspannungsübungen. Köpfe und Schultern kreisen. Am besten jeden Morgen, vor den Drehtagen, meint Robert Galinsky. Denn der Seelenstriptease fordere Kraft. Und sei Pflicht. Jeder in der Runde soll ein Geheimnis erzählen.

„At fourteen, I had an affair with a thirty year old man!“ – „I once stole a police car!“ – „In the last two years, I have become impotent!“ – „In my stomach there was my dead fetal twin brother!“

Die eine hatte als Teenager eine Affaire mit einem Dreißigjährigen, die nächste hat mal ein Polizeiauto geklaut. Impotenz und ein toter Zwillingsbruder im eigenen Bauch kommen auch vor. Robert Galinsky nickt zufrieden: Solch dunkles Drama, solche Verletzlichkeit ist quotenfähig. Nächste Übung: An einer Reihe von schimpfenden Kursteilnehmern vorbeilaufen. Robert Galinsky gibt seine Anweisungen:

„Stellt Euch vor: Er hier hat im Suff Euren Hund erwürgt und ist aus Spaß mit seinem Auto mehrmals drüber gefahren!“

(Gebrüll)

Der hünenhafte Afroamerikaner Firan stiefelt stoisch am Brüllgewitter vorbei. Und würde so nicht durchs Casting kommen, urteilt die Castingagentin Risa Tanania. Firan schluckt:

„Ich habe im Leben gelernt, nichts an mich ranzulassen – jetzt muss ich das alles wohl wieder rückgängig machen…!“

Andere stolzieren sarkastisch-triumphierend an der Keiforgie vorbei. Auch falsch, findet Risa:

„Das kann jetzt verwirrend sein. Ich will keine Schauspieler. Ich will, dass Ihr Gefühle zulasst, nicht, dass Ihr sie spielt!“

Es folgen Ratschläge von Jorge Bendersky, Finalist bei einer Hundezüchtershow und mittlerweile im ganzen Land als Werbeträger für Hundenahrung unterwegs. Jorge hat einen ganz eigenen Geheimtipp, wie man die 24-Stunden-Dauerüberwachung überleben kann:

„Wenn Du mal fünf Minuten Auszeit brauchst: Zieh Dir die Hose runter, dann folgen Dir die Kameras nicht mehr. Stinkefinger oder Schimpfwörter funktionieren natürlich auch.“

Weitere Tricks: Sich immer langsam bewegen, dann kommen die Kameras mit. Immer laut über die nächste Handlungen nachdenken, dann halten die Produzenten die Kameras bereit. Und immer schön in kurzen Sätzen reden, damit alles leicht zu schneiden ist.

Zeit, die Auswahlsituation im Casting zu üben. Zu was für einer Show wollen die Teilnehmer und warum? Sie müssen sich jeweils vor zwei schuleigene Videokameras stellen. Rachel möchte in einer Alltagsshow zeigen, wie sie sich für ihre behinderte Mutter aufopfert:

„That what it is about, making this world a better place!“

Sie heult hemmungslos. Die Kursteilnehmer nicken ehrfurchtsvoll: Die Show würden sie gucken. Der smarte Asiate G. Beaudine wiederum möchte in „Die echten Hausfrauen von New York“ auftreten. Alle stutzen – er, als Mann?

„Es gibt niemanden in New York, der nicht einen schwulen Bekannten hat. Also sollte die Hausfrau in diesem Format auch einen schwulen besten Freund haben. Und ich wäre perfekt dafür!“ – „Good Job!“

Vorbildlich! G. Beaudine hat sein Leben zu einer einminütigen Story eingedampft, kennt offensichtlich die einschlägigen Formate und präsentiert sich passgenau. Wer dagegen schwammig rumstottere, falle sofort durch, warnt Risa, und wirbt für mehr Respekt für die Branche:

„Reality TV hat die Medienlandschaft verändert und das Leben für Minderheiten einfacher gemacht. Das müsst Ihr anerkennen! Vorher hatten Leute wie Ihr keinen Platz im Fernsehen, Rollen gab es da nur für die Schönen, die Dünnen und die Weißen!“

Die Zeiten des oberflächlichen, extremen Starkultes seien vorbei, Tiefe, gar herzenswarme Rührung zähle. Die Lehre des Nachmittags scheint zu sein, dass man sich am besten selber spielt. Aber nicht ohne jegliche Extreme.  Robert Galinskys Lackmustest:

„Die guten Leute wissen, wann sie austicken dürfen. Die sind ein Disaster, aber kontrollierbar. Da sieht man sofort, dass sie das Zeug haben!“

Für „Corso“ im Deutschlandfunk.