Geistreich erhellt Michiko Kakutani die Diskussion zu Fake News. Das erste eigene Buch der Starkritikerin verdammt das Postfaktische. Nur wird dieses Buch symptomatischerweise und traurigerweise nicht die erreichen, die es umzustimmen gälte.

Die 1955 in New Haven geborene Literaturkritikerin Michiko Kakutani galt lange Zeit als Institution der Bücherwelt in den USA, bekam sogar den Pulitzerpreis für Kritik, war geliebt und gefürchtet zugleich. Die Geschichte dieses Buches ist daher so ambivalent wie sprechend: 2017 kündigte Michiko Kakutani ihren Posten als Chefkritikerin der New York Times. In der Trump-Ära dränge es sie zu politischen Essays, ließ sie durchblicken. Dieser Drang, insbesondere vor Trump zu warnen und seinen Aufstieg zu erklären, dieser Drang schien so groß gewesen sein, dass Kakutani ihre schlicht außergewöhnliche, fast vierzig Jahre währende Karriere beendete: Sie, die Jonathan Franzen groß gemacht hatte, Norman Mailer niederschreiben wollte, zog sich zurück, und das Ergebnis liegt nun vor: „Der Tod der Wahrheit. Gedanken zur Kultur der Lüge“.

Damit niemand es überliest, vergleicht sie unser postfaktisches Zeitalter gleich zu Anfang mit Nazideutschland und der Sowjetunion sowie später die postfaktischen PR-Strategien mit Goebbels, Lenin oder dessen angeblichem Update – Vladimir Putin.

Indes wirken die Wahrheit über das Buch und das Buch selbst weniger dramatisch und überraschend: Kakutani hat sich schon früher dem Politischen zugewandt, immer wenn sie Autobiographien rezensierte und unbestechlich, quer durch die politischen Lager hinweg lobte und verurteilte, egal ob George W. Bush, Dick Cheney, Hillary oder Bill Clinton.

Auch jetzt nimmt Kakutani kein Blatt vor den Mund und geißelt Donald Trump lustvoll, meist jedoch recht aufgebracht, als Rüpel, der wie von verrückten Karikaturisten entworfen wirke. Was hat ihn, genauso wie Nigel Farage in Großbritannien oder Marine LePen in Frankreich, nur möglich gemacht? Kakutani macht viele, meist jahrzehntelange Enwicklungen aus:

Am erhellendsten ist Kakutanis These, der postmoderne Relativismus von Autoren wie Foucault, Derrida und Lyotard sei längst in den rechten Mainstream eingesickert, wo man nun Objektivität stets leugnen kann, indem man sich listig pseudotolerant auf „unterschiedliche Sichtweisen“ beruft. Das ist tatsächlich die bittere, gerne verdrängte Schattenseite einer einst gut gemeinten, linken Kritik, die sich teilweise dazu verstieg, Wissenschaft an sich als ausschließlich von Geschlecht, Rasse, Klasse bestimmt zu sehen.

Und dann waren da ja noch, Achtung: eine explodierende Medienlandschaft, der Trend zum Infotainment, die Polarisierung in Stadt und Land und daran hängende Blasen. Überhaupt die Aufspaltung der Gesellschaft in Filterblasen, die eine Verständigung über eine gemeinsame Realität unmöglicher machen. Eine seit den 70ern zunehmend narzisstische Gesellschaft, die im Social-Media-Geschrei kulminiert. Das manichäistische Zweiparteiensystem der USA, die politisch-wirtschaftlichen Sümpfe in Washington und – russische Internettrolle.

Michiko Kakutani serviert das aufrüttelnd, empört und stilsicher, mal konzise, mal aufgelistet, neu ist das wahrlich nicht. Sprechenderweise ist das Buch allen Journalisten gewidmet – und das ist der Grundwiderspruch: Pragmatische Tipps an die Bodentruppen der Social-Media-Redaktionen zur Troll-Bekämpfung etwa gibt es eben nicht. Und wie sehr die Wahrheit bedroht ist, das wissen gerade Journalisten, die seit Trumps Präsidentschaftskandidatur dessen Lügen geradezu übereifrig katalogisieren – leider mit mäßigem Erfolg. Der Band bleibt ein abstrakter Kompass, eine Standortversicherung in dunklen Zeiten – mehr nicht.

Scharfzüngig, belesen, anspielungsreich – so wird dieses Bändchen ganz sicher Menschen noch einmal neu für die Wahrheit entflammen – aber eher die professionellen Vielleser in der linksliberalen Blase, nicht jene selbsternannt Bodenständigen, welche die zahlreichen Quellen nicht zu goutieren wissen – Zitate zu Stefan Zweig, Hannah Arendt, Francis Fukuyama, David Foster Wallace, Jorge Luis Borges und vielen anderen. So ist Michiko Kakutani ein weiterer Beleg dafür, dass die linksliberale Blase irrtümlich und, ja, bequemerweise glaubt, Sendungsbewusstsein, Empörung und Bildung seien genug im Kampf gegen die Lügen.

Michiko Kakutani: Der Tod der Wahrheit. Gedanken zur Kultur der Lüge. Übersetzt von Sebastian Vogel. Erschienen bei Klett-Cotta. 200 Seiten kosten 20 Euro.

Rezensiert für die Lesenswert Kritik auf SWR2.