Haschisch und Literatur – das ist eine äußerst enge, aber auch wechselvolle Geschichte: Schon in den Märchen von 1001 Nacht taucht ein Text über einen Haschischesser auf, der gerade Erotisches erlebt, sich einer schönen Frau erregt nähert – und dann doch nur aus dem Drogenrausch aufwacht.

Haschisch war also schon lange da, wurde in Texten geschildert, aber erst viel später, im 19. Jahrhundert, erheben Schriftsteller die gewollte Halluzination zum Programm, mit durchwachsenen Ergebnissen. Mal verklärt, mal moralisch verdammt, aber nie wegzudenken – das ist die Geschichte des THC in der Kunst des Wortes.

An einem Dezemberabend 1844 betritt der französische Schriftsteller Théophile Gautier das Hotel Pimodan auf der Pariser Ile-St. Louis. Hier hat sich, unter Aufsicht eines Arztes, der Club der Haschischesser gegründet. Monatlich konsumiert man unter anderem Dawamesk, ein orientalisches Gebäck mit Cannabis.

„Zeitweilig sah ich noch meine Gefährten, aber entstellt, zur Hälfte Menschen, zur Hälfte Pflanzen, mit den nachdenklichen Mienen eines Ibis; sie standen auf Straußenpfoten und schlugen mit den Flügeln.“

…schreibt Gautier über seine Visionen unter Berühmtheiten wie Victor Hugo, Alexandre Dumas oder Honoré de Balzac. Die Mitglieder kleiden sich in orientalische Gewänder, sind fasziniert vom Mythos der legendenumwobenen Assassinen, wollen der bourgeoisen Langeweile entfliehen und vor allem „neue Pforten der Wahrnehmung“ aufstoßen, erzählt die Germanistin Helen Roth von der Uni Koblenz-Landau:

„Man denkt nicht mehr chronologisch, sondern quer durch den Raum, was für die Dichtung ganz neue Möglichkeiten schafft. Gerade den Symbolisten ging es um Synästhesien. Das heißt, dass man verschiedene Sinne bündelt – akustische Sinneswahrnehmungen, visuelle, olfaktorische. Und dadurch ein Gefühl in seine Verse setzen kann, dass alles nicht mehr getrennt ist, es ist alles eins.“

Charles Baudelaire – auch einer der „Pariser Haschischesser“ – spricht bald von den „künstlichen Paradiesen“. In sie flüchtet er vor dem „Spleen“, der Schwermut, hier erfährt er eine sonst ungekannte Schönheit der Welt – aber leider nur zeitweise, betont Helen Roth.

„Man wird in diesem Paradies nichts finden, was nicht vorher schon in einem selbst ist…Was man sich vorstellen muss: Wenn der Rausch endet, wird man schlagartig aus diesem künstlichen Paradies vertrieben, und spürt danach umso mehr die Härte des Alltags!“

Dafür verurteilte Baudelaire das Haschisch! Und Gautier kanzelt die Droge als pseudokreatives Glück in der Westentasche ab. Der echte Literat brauche nur seine Träume! So schwankt die literarische Diskussion zwischen Faszination und bisweilen moralinsaurer Ablehnung.  Letzteres gerade im 20. Jahrhundert in Deutschland. Expressionistische Dichter wie Georg Trakl, die Haschisch und Härteres nahmen, mögen heute verklärt werden, betont Helen Roth, waren aber gewiss keine saturierte Wohlfühlelite.

„Man darf nicht vergessen, dass viele Dichter, die diesen Lebensstil pflegten, erst nach ihrem Tod bekannt wurden, gerade bei den Expressionisten war das der Fall. Viele wurden ausgestoßen aufgrund ihrer Sucht, wurden stigmatisiert, hatten keinen Broterwerb mehr.“

Weitere Desillusionierungen folgten: Der eigentlich drogenerprobte Ernst Jünger erlitt einen psychotischen Horrortrip durch eine Haschischüberdosierung. Walter Benjamin erlebte Hungerattacken oder „satanische“ Phasen und verwarf schließlich die Idee, Cannabis helfe bald beim gesellschaftlichen Umsturz, stellt Helen Roth klar:

„Gerade Haschisch ist keine Droge, die jetzt revolutionäre Kräfte freisetzen würde. Im Gegenteil, wir haben uns alle lieb und essen jetzt Butterkuchen…“ 

Haschisch sei nur Rausch, die Revolution aber müsse das alltägliche Leben verändern, bilanziert Benjamin ernüchtert.

Erst die Beatgeneration konsumierte wieder freudiger. Jack Kerouac etwa schreibt 1959 „Doctor Sax“. Da geht es um seine Kindheit in Massachusetts, plötzlich fantasiert er über Comic-Superhelden. Sprunghafte Assoziationen, und das bewirkt ein Joint. Wohlgemerkt: also eine geringe Dosis! Hochliteratur aus dem bewegungslosen Delirium, das sei ohnehin eher ein Mythos, meint Helen Roth:

„Ich bin mir sehr sicher, dass es keinen Autor gibt, der mit dem, was er im Vollrausch geschrieben hat, glücklich ist. Sondern sie haben diese Droge genommen, haben in sich gehört, haben im Anschluss, nach dem der Rausch abgeebbt ist, ihre Gedanken zu Papier gebracht.“

„Viele der Szenen in meinem Buch Naked Lunch verdanke ich direkt der Wirkung der Cannabis…“

…gesteht William Burroughs frei, der stets ein paar Joints auf seinem Schreibtisch in Tangier bereit hält. Das erklärt vielleicht auch einen unerfreulich paranoiden Unterton in seinem Hauptwerk. Selbst dieser erfahrene Psychonaut sieht die Droge nur als Mittel zum gänzlich drogenlosen Autoren-Schreibrausch. So schreibt Burroughs:

„Cannabis dient als Führer in Seelenträume, die später ohne diesen Helfer erneut betreten werden können.“

Also ohne Substanzen! Und eben literarisch verarbeitet. Beatpoet Allan Ginsberg widerspricht: Im Normalzustand folge man nur Second-Hand-Interpretationen von Erfahrung. Unter Marihuana hingegen werde das Denken direkter, „mikroskopischer“. Wenn der Staat das  verteufele mit seinem Drogenverbot – worüber lüge er dann wohl noch?! Ginsberg glaubt, flächendeckender Haschischkonsum könne die Unterdrückung in der Gesellschaft beseitigen. Helen Roth:

„Heute würde niemand mehr so weit gehen, das glaube ich nicht. Wir nehmen alle Haschisch, alles wird friedlich und gut und wir leben glücklich, das ist vorbei.“  

Auch die deutschen 68er rauchten gern. Bernward Vesper zum Beispiel war der Joint ein Mittel zur Selbstverwirklichung, die Absetzung von einer älteren Generation, die Rebellion gegen die Bourgeoisie, wie schon bei den Pariser Haschischessern im 19. Jahrhundert.

Irgendwann sind da die wilden 90er mit Technomusik und mittendrin Rainald Goetz, der in „Rave“ schreibt:

“Ich habe die letzten, ich weiß nicht wie viele Stunden, paar Tage jedenfalls, nichts mehr zu mir genommen. Außer ein paar Pillen, und Haschplätzchen, und Speed, und Kokain.”

Haschisch ist längst nur noch eine Droge unter vielen, die im Cocktail ihre Effekte gegenseitig abmildern: Upper und Downer. Ohnehin sind die Ecstasyhighs ja viel bombastischer. Letztlich ist bei Goetz jeglicher Rausch nur Mittel zum Zweck: Der Autor will via Drogenkonsum eine Szene infiltrieren und sie porträtieren.

Es ist schon erstaunlich, welche Aufgaben dem THC in der Literaturgeschichte zugewiesen wurden. Ganz überzeugt habe das alles zwar nicht, resümiert die Germanistin Helen Roth, aber …

„Nichtsdestotrotz wird Haschisch nie als kreative Stütze aus dem Alltag von so manchem Autor weichen. Der Mensch sucht immer wieder diese Grenzzustände wie Rausch, Wahn, Traum und Tod.“

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Für die „Matinee“ in SWR2.