Verwunschene Häuser sind seit jeher ein beliebtes Mittel, den diffusen Ängsten einer Zeit einen Raum zu geben. In die lange Reihe von berühmten Spukhäusern fügt sich nun ein Haus in Virginia ein: „Das Haus“ lautet der schlichte Titel des Debuts von Mark Z. Danielewski, der in den USA schon mit William S. Burroughs, Thomas Pynchon oder David Foster Wallace verglichen wird. Denn der Roman ist eine Horrorgeschichte, ebenso aber auch eine gelehrte Abhandlung mit mehreren Erzählebenen. Zehn Jahre saß der Ex-Literaturstudent aus Yale Mark Z. Danielewski an seinem Werk, über zwanzig Verlage lehnten es ab, bis Pantheon zugriff und ein Kultbuch auf den Markt brachte. Sieben Jahre später ist das Buch nun auch bei uns erschienen. Pascal Fischer hat mit dem heute 41jährigen Mark Z. Danielewski über den Roman gesprochen.

Will Navidson hat von seinem Leben als Kriegsfotograf genug. Mit seiner Familie zieht er sich auf ein altes Haus in Virginia zurück. Doch nach einem Familienausflug entdeckt er verstört, dass sich in seinem Schlafzimmer plötzlich eine Tür zu einer kleinen Kammer befindet. Verwirrt besorgt sich Navidson die Baupläne des Anwesens, und vermisst sein Haus. Das unheimliche Ergebnis: Es ist drinnen größer als draußen! Nicht genug: Die seltsame Kammer wächst sich nach innen in ein Gewirr von Gängen aus. Nach und nach unternehmen Navidson und seine Freunde Expeditionen in dieses Dunkel. Regelmäßig hören sie dort ein dumpfes Grollen, das selbst dem erfahrenen Jäger Holloway Roberts Furcht einflößt:

„Irgendetwas ist hier. Es verfolgt mich. Nein, es belauert mich. Ich werde seit Tagen von ihm belauert, aber aus irgendeinem Grunde greift es nicht an. Es wartet, auf irgendetwas wartet es. Keine Ahnung auf was. Ich bin nicht allein hier. Ich bin nicht alleine.“

Das Gefühl trügt. In diesem Labyrinth herrscht absolute Leere. Danielewski schenkt uns eine düstere Parabel über Menschen, die im Angesichts des Nichts verrückt werden. Das ist hohe Literatur und Schauerroman zugleich. Danielewski würde diese Unterscheidung allerdings gar nicht vornehmen:

„Ich interessiere mich nicht für ‚Genre-Politik‘. Mit diesen Genre-Unterscheidungen kann man lustig herumspielen, sollte sie aber nicht zu ernst nehmen. Homers Odyssee ist schließlich eine Actionstory, Goethes Faust ist ein Horrorbuch, immerhin schließt ein Mann einen Pakt mit dem Teufel. Große Werke haben ihre eigenen Maßstäbe. Und im Herzen des Horrors liegt – Schönheit.“

Der Roman ist äußerst verschachtelt und verunsichert den Leser. Der eigentliche Erzähler ist nämlich der 25jährige Trunkenbold und Herumtreiber Johnny Truant aus Los Angeles. Er gelangt über einen Freund an das geheimnisvolle Manuskript eines kürzlich verstorbenen Eremiten, der sich Zampanó nannte. Zampanó war vor seinem Tode wie besessen davon, den Inhalt eines verschollenen Films aufzuschreiben. Und eben dieser verschollene Film ist die Dokumentation, die Will Navidson über sein Haus und die unheimliche Kammer darin gedreht hat. Der Haupttext des Buches schildert den Film, darunter stehen Fußnoten von Zampanó und darunter Erläuterungen von Johnny Truant, alles in unterschiedlichen Schriftarten: Mark Danielewskis Botschaft an seine philosophischen Lehrer Jacques Derrida und Paul de Man. Die haben schließlich geglaubt, sprachliche Inhalte seien unabhängig von ihrer Form. Eine Ansicht, die Danielewski nicht teilt:

„Johnny Truant hat die Schriftart Courier. Das lässt an ein Manuskript denken, das immer noch geändert werden könnte. Zampanós Bericht ist in die Schriftart Times gesetzt. Da denkt man an die New York Times, eben an eine Art verlässliche Autorität, welche die Wahrheit und das Offizielle sagt.“

Doch damit ist es nicht weit her. Johnny stellt fest, dass Zampanó blind war – Navidsons Film also nie sehen konnte. Überhaupt bleibt das ominöse Haus unauffindbar. Das verfluchte Manuskript dekonstruiert die Geschichte, die es erzählen will, pausenlos selbst. Und es greift langsam auf Johnnys Verstand über, macht ihn mal panisch, mal ohnmächtig. Damit ihn der Text nicht verschlingt, belügt er lieber die Leser und macht ihnen Angst:

„Und jetzt stellt Euch vor, unmittelbar jenseits eures Blickfelds, vielleicht hinter euch, vielleicht neben euch, vielleicht sogar vor euch, aber eben genau da, wo ihr es nicht mehr sehen könnt, kommt etwas leise näher an euch ran, und zwar so leise, dass ihr’s nur als Stille hört. Ihr müsst diese Löcher finden, wo keine Geräusche sind. Da ist es drin. Jetzt in diesem Augenblick…“

Der Setzer hatte bei Danielewski Einiges zu tun: Mal stehen die Lettern dicht aneinandergedrängt inmitten der leeren Seite, mal klettern sie treppenartig über die Seite, ganz wie Navidson auf seiner Expedition in die geheimnisvolle Kammer. Hier zeigt sich der Einfluss Tad Danielewskis, Vater des Autors und einst polnischer Avantgarde-Regisseur.

„Er brachte 16mm Filme nach Hause, wir schauten Lang, Lubitsch, Kubrick. Immer, wenn er die Filmrolle wechselte, erklärte er, wie eine Szene aufgebaut war und wie sie funktionierte. Bücher an sich können eine visuelle Seite haben. Nicht so sehr wie in Comics, wo die Bilder das Kino nachahmen, sondern eher, indem der Textfluss intensiver gestaltet wird. Das kreiert Energie: Wenn Du Dein Auge bewegen musst, wirst Du aktiver, suchst den Text. Du wirst beim Lesen viel aufgeregter.“

Die Vereinfachungsmaschinerie Hollywood will Danielewski allerdings nicht an sein Werk heranlassen. Lieber sähe er ein Puzzle von Kurzfilmen mehrerer Regisseure auf Youtube. Das, findet er, ähnele eher dem Prinzip dieses Romans. Er erschien zunächst stückweise im Internet, und die Fußnoten zu den Fußnoten wirken wie Kommentarfolgen in Internetforen. Sie machen aus dem Text eine Art labyrinthische Online-Bibliothek von Babel.

„Für mich war das wie das Schreiben einer Symphonie: Zunächst ist da nur eine Stimme, dann wird eine weitere eingeführt. Im Internet zum Beispiel steht man vor einem riesigen Wissensspeicher, der per Klick zur Verfügung steht. Aber wenn man begreift, dass es noch so viel mehr gibt, bekommt man einen niederschmetternden Eindruck davon, was echte Demut bedeuten kann…“

Romane voller wissenschaftlicher und philosophischer Reflexionen gab es im 20. Jahrhundert viele, meistens aber sind es wenige Hauptfiguren, die die Diskussionen führen. Danielewski führt diesen Trend besonders frech ad absurdum. Angeblich haben namhafte Zeitgenossen wie Stephen King, Jacques Derrida oder David Copperfield die Geschichte von Navidsons Haus gelesen und sinniert, ob das Haus echt ist und wie es funktioniert. Der Romaneremit Zampanó trägt derweil Tagungsberichte, angeblich authentische Interviews und Beweisfotos zusammen. Die Radiometrie wird hier ebenso bemüht wie die Psychoanalyse. Die feministische Intellektuelle Camille Paglia beispielsweise sieht in der Phantasie von der Kammer einen männlichen Vaginaneid am Werke. Und auch den Literaturwissenschaftler Harold Bloom hat Danielewski in seinen Roman eingearbeitet; er doziert über Heideggers Erklärung des Unheimlichen.

Mal will man wegen dieser stilechten Parodien in Bewunderung versinken, dann wieder schallend lachen über das gottesgleich unerschöpfliche Arsenal avantgardistischer Kunstgriffe, über die Danielewski mit leichter Hand verfügt.

Mal schreibt er auf dem Kopf, mal in Spiegelschrift, äfft das seitenlange, blasierte Namedropping der Geisteswissenschaften nach. Statt Nummern verweisen seltsame Zeichen auf die Fußnoten, ein gigantomanischer Index am Ende des Buches enthält Füll- und Schimpfwörter.

Vampire, Werwölfe oder Serienkiller bevölkern das Haus nicht, trotzdem fordert es am Ende seine Opfer. Auf keiner Erzählebene können die Erklärungsversuche den Leser beruhigen, gerade weil sie die Existenz des Unfassbaren ständig bestätigen. Das Übernatürliche muss eben durch den guten alten Realismus beglaubigt werden, wusste schon die Horror-Ikone Howard Phillips Lovecraft. Gleichzeitig kehrt das Buch den Rezeptionsprozess um: Aus allen Deutungen erschafft sich der Leser erst die Geschichte, undzwar vermutlich diejenige, die ihn persönlich am meisten ängstigt. Er hat, wie der Erzähler Johnny Truant und wie jeder andere Mensch auch, die Wahl: Entweder erblickt er hinter dem Irrgarten von Weltdeutungen das Nichts, oder das Nichts in sich – oder er wischt dieses Grauen mit Lügen fort. Eine postmoderne Schocktherapie. Ein Narr, wer sich diese gelehrige und geniale Portion Angstlust entgehen lässt.

Rezensiert von Pascal Fischer für das „Forum Buch“ auf SWR2.