Feridun Zaimoglu lässt zehn Frauenfiguren aus der Geschichte sprechen – ein Zeitgeist-Versprechen, das nicht komplett erfüllt wird. „Die Geschichte der Frau“ ist gut für Diskussionen, eher mau für einen aufrichten, intellektuellen Lesegenuss.

Wenn es einen fleischgewordenen Beweis dafür gibt, dass Autoren mit Migrationshintergrund im Kulturleben hierzulande fest verankert sind, dann ist das wohl Feridun Zaimoglu. Geboren 1964 in der Türkei, aufgewachsen in Deutschland, Journalist, Kritiker, Verfasser von Romanen und Theaterstücken und mehrfach ausgezeichnet mit Preisen und Stipendien und sogar einer Ehrenprofessur. Kein Wunder, durchmisst Feridun Zaimoglu doch die ferne und nahe Kultur und Geschichte Deutschlands, zuletzt in einem Roman über Martin Luther, davor ging es um den Zweiten Weltkrieg, die Nibelungen, das Ruhrgebiet, Gastarbeiter, oder auch die deutsche Romantik.

Ein Füllhorn, aus dem Zaigmoglu nun schöpft, wenn er zehn Geschichten über historische Frauen aus der Geschichte und Kulturgeschichte porträtiert, um weiblichen Stimmen das Gewicht in der Weltgeschichte zuteil werden zu lassen, das ihnen gebührt. Die Debatte um #metoo lässt grüßen.

Und programmatischer als mit einem Titel wie „Die Geschichte der Frau“ geht es wohl kaum. Schon in seinen Romanen „Leyla“ oder „Isabel“ war Feridun Zaimoglu vereinzelt in die Köpfe von Frauen geschlüpft. Jetzt folgt ein perfekt durchgeplantes Schreibprojekt, ein Buch mit zehn Erzählungen aus weiblicher Ich-Perspektive. Es sprechen Frauen, deren unterdrückte Stimmen endlich gehört werden sollen. Auf jeweils circa 40 Seiten breitet Zaimoglu wenige entscheidende Stunden oder Tage im Leben dieser ungehörten Frauen aus, die sorgsam auf ihre Symbolkraft hin ausgewählt sind.

Zum Beispiel Antigone, die das Herz ihres gefallenen Bruders gegen den Befehl König Kreons begräbt und dafür im Kerker stirbt. Oder Judith, deren bloße Existenz als eine von vielen Jüngerinnen Jesu schon für lange Zeit ein kirchliches Ärgernis ist. Oder Zippora, die ihren Mann Moses vor der Wut Gottes rettet:

Zitat: „Ich sagte in dieser Nacht zu meinem Kind Gerschom: »Ich werde dich zum Bluten bringen, rette deinen Vater!« Ich löste seinen Lendenschurz, ich zog die Haut über die Spitze seiner Scham und schnitt sie ab mit dem Feuerstein. Sein Blut strich ich auf Moses Füße und rief: »Du bist mir ein Blutbräutigam geworden!« Da wurden Nacht und Himmel ruhig. Beschnitten habe ich meinen Sohn, und dies Zeichen des Bundes war eine mächtige Kraft. »Ich wäre sonst erstickt«, sagt Moses.“

Beängstigend gekonnt und sehr nuanciert hat sich Feridun Zaimoglu jeweils den Tonfall und das Vokabular seiner Figuren und deren Zeit angeeignet. Archaisierend in den biblischen Urmythen des Abendlandes, triefend von Heldenruhm, Goldgier und Brutalität, wenn es um die Nibelungen geht, starrend vor Dreck, Geilheit und Aberglauben in der frühneuzeitlichen Erzählung von Prista Frühbottin, einer Heilerin, die als Hexe auf der Streckbank endet. Jeweils so konsequent, dass es manchmal schon manieriert und anstrengend wirkt.

Auch die Figurenkonstellation ist fast zu lehrbuchhaft entworfen, weil Zaimoglu ausnahmslos alle seine Hauptfiguren mit Spiegelungen und Variationen umgibt: Die aufmüpfige Fabrikantentochter und Vormärz-Revolutionärin Lisette aus Elberfeld etwa findet sich 1849 zwischen zwei Extremen platziert: ihrer jüngeren Schwester Augusta, die einem Major versprochen ist, aber heimlich einen Weber trifft, sowie dem übermäßig artigen Dienstmädchen Ilse.

Und die Diskurskonstellationen sind ausnahmslos so entworfen, als wolle Feridun Zaimoglu übereifrig im Oberseminar punkten, in dem Mehrfachdiskriminierungen besprochen werden. Nie geht es in den Geschichten nur um Männer und Frauen, immer werden hier auch Menschen geringgeschätzt, weil sie aus den falschen Stämmen, Nationen, Religionen und Klassen stammen. Zippora etwa, Moses‘ Frau, ist zugleich auch eine dunkelhäutige Ägypterin inmitten des jüdischen Volkes.

Und die männlichen Figuren? Auftritt eines eher wenig schmeichelhaften Personals, meist blind und ignorant, wenn es um die Belange der Frauen geht. Die Vormärz-Revolutionärin Lisette etwa unterbricht den Vortrag eines Ko-Revolutionärs:

Zitat: „»Die Frauen«, rufe ich. »Was?« »Du hast die Frauen vergessen, Genosse. Darf ich wählen?« »Die Frau regiert im Haus«, sagt er. »Unsinn!« »Die Verfassung sieht ein aushäusiges Frauenregiment nicht vor. Mich kümmert’s wenig, andere Fragen stehen vorn.«“

Anton, der heimliche Liebhaber von Lisettes Schwester Augusta, ist auch ein Schuft. Er will das Getümmel eines Aufstands in Elberfeld nutzen, um sich an Augusta zu vergehen, die sticht ihn in Notwehr nieder. Friedrich Engels ist vor Ort und bricht den Aufstand feige ab und ist zu faul, sich für Lisette zu verwenden – sie wird bei den Roten nun als Heuchlerin gelten, wenn sie ins väterliche Haus zurückkehrt. Bei den anrückenden preußischen Machthabern aber wird sie ebenfalls als Klassenverräterin gelten – sie fürchtet, nur eine Nacht im Bett des gierigen Bürgermeisters wird ihre Haut retten können.

Zehn Frauen – zehn Geschichten. Das ist nicht ausnahmslos ein Reigen historischer Referate mit Depressionsgarantie, es gibt darin auch durchaus heitere Tonlagen. Beispielsweise erzählt die junge Haushälterin Lore Lay belustigt von einem romantischen Dichter, der 1799 auf der Durchreise in ihrem Örtchen Bacharach am Rhein absteigt – Details, die auf Clemens Brentano hindeuten. Lore Lay amüsiert sich über sein Schwärmen und Schwadronieren, mit dem er nachts vor ihrer Schlafzimmertür nur blumig-inspiriert umschreibt, dass er sie im Grunde flachlegen möchte. Eine herrliche Satire über den Kulturbetrieb, in dem die Herren Kulturschaffenden auch heute noch ihre Grenzüberschreitungen verklausulieren und Frauen gerne zu Mischwesen aus Dienerin und Muse degradieren.

Da hat Zaimoglu absolut recht. Doch je länger man liest, desto schiefer wirkt das Eingangsmotto, das Zaimoglu dem gesamten Buch voranstellt:

Zitat: „Nach ihren Siegen lernten die Männer, Ruhmestaten zu erdichten. Sie schrieben, sich erlügend, ihre Sagen. Dies ist der Große Gesang, der ihre Lügen tilgt. Es spricht die Frau. Es beginnt.“

Das und ein Titel wie „Die Geschichte der Frau“ sind nun ein arg hoch gehängtes und selbstverliebtes product placement für die wenigen Schlaglichter, die eine Sammlung von Erzählungen naturgemäß nur bieten kann. Es hilft nicht wirklich, dass die Verlagshomepage das ironisch brechen möchte und das Buch ein „unverfrorenes Bekenntnis“ des Autors zu den Frauen nennt. Ist die vorauseilende Selbstkastration sein Konzept als Künstler? Eine unglaubwürdige Selbst-Unsichtbarmachung? Diese Überidentifikation mit dem weiblichen Geschlecht ist nur wieder eine sehr männliche Aneignung von Frauenleben, nur eben auf höherer Ebene. Abgesehen davon, dass die Frauen hier meist Beistellwerk sind wie in jedem Hollywoodfilm, ist hier alles aufdringlich, übertrieben, überhöht durch eine überemphatische Sprache. Sie tönt sehr laut – so wie der Autor, der in Interviews erstaunlich wenig Zweifel an sich und seinem Unterfangen an den Tag legt.

Auch das closing statement ist ziemlich deprimierend: Hier schießt die radikal-feministische Künstlerin Valerie Solanas auf den arroganten Künstler Andy Warhol – die einzige, die sich konsequent gegen Missbrauch und Unterdrückung auflehnt, ist leider auch zutiefst gestört.

Zitat: „TÖTE DEN MANN DER STUNDE. MACHE IHN ENDLICH WIRKLICH IM TOD. DIE WELT HAT EIN GESCHLECHT: FRAU. MANN: ZERFRESSENER KNORPEL, GENSCHLICK, BAUCHSPECK DES SCHWEINS.“

Das edle Anliegen des Buches kippt so um: vom Sprechenlassen der Unterdrückten dazu, die Männer zum Schweigen zu bringen.

Ja, das Buch ist vielstimmig, gut recherchiert, sprachgewaltig. Aber leider auch voll von Geschichten, bei denen ein bisschen zu klar ist, was der Autor uns damit sagen will: Dass er nicht nur als Erzählerin, sonder sogar als Autor eigentlich eine Frau ist. Das stimmt eben nicht. Im Kern ist es ein Buch zum Diskutieren, nicht jedoch zum Goutieren.

Feridun Zaimoglu: Die Geschichte der Frau. Erschienen bei Kiepenheuer und Witsch. 400 Seiten kosten 24 Euro.

Besprochen für das SWR2 Lesenswert Magazin.